Weltpresse hinterfragt die Legitimität des Lava Jato
Die Veröffentlichung der Reportagen der Website The Intercept der Gespräche zwischen dem Bundesstaatsanwalt Deltan Dallagnol, Chef der Sonderermittlung in Curitiba – der den Großteil der Operation Lava Jato koordinierte – und Sérgio Moro, der für die Operation verantwortliche Richter, löste auf der ganzen Welt eine Nachrichtenlawine aus, die die Unparteilichkeit bzw. Neutralität des Prozesses in Frage stellte. Einflussreiche Zeitungen wie die französische Le Monde fragten, ob die Untersuchung, die den größten Korruptionsskandal der Geschichte Brasiliens enthüllte, nicht selbst manipuliert wurde. Die Washington Post verkündete, dass die zwischen Richter und Staatsanwalt unterhaltenen Beziehungen, die Frage nach ihrer Rechtmäßigkeit stellt. Die New York Times wies darauf hin, dass die Integrität des Lava Jato angezweifelt würde. Der englische The Guardian machte auf den Tatbestand aufmerksam, dass die Beziehungen zwischen Moro und Dallagnol durch die brasilianische Verfassung verboten seien. Al Jazeera, seinerseits, informierte, dass Staatsanwälte und Richter in dieser Form zusammenarbeiteten um die Kandidatur Lulas 2018 zu verhindern.
An die 50 Veröffentlichungen in mindestens 21 Ländern wurden analysiert. Im Allgemeinen hob die ausländische Presse Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters Sérgio Moro hervor und die Möglichkeit, die Operation Lava Jato sei von politischen Interessen beeinflusst. Die Unparteilichkeit Moros wurde im Hinblick auf seine Anleitung und Mitteilungen an Deltan Dallagnol in Frage gestellt. Diese Abschnitte gehen immer mit der Erklärung einher, dass in Brasilien derartige Beziehungen zwischen Richtern und Staatsanwälten nicht erlaubt sind. Darüber hinaus wird die Unparteilichkeit Moros häufig auch hinsichtlich dessen hinterfragt, dass er der Richter war, der Lula verurteilte und den Weg für den Wahlsieg Jair Bolsonaros öffnete und dann Justizminister der derzeitigen Regierung wurde. Schon das Motiv der Operation war aufgrund der Haltung der Staatsanwälte in Verbindung mit der Möglichkeit eines Interviews Lulas mit der Folha, was der Präsidentschaftskandidatur Fernando Haddads zum Vorteil gereichen würde, zweifelhaft. Gesprächsausschnitte, in denen die Staatsanwaltschaft den Wunsch bekundete, die PT solle nicht wieder an die Macht kommen, wurden angeführt. Die Zweifel Deltan Dallagnols hinsichtlich der Beweise gegen Lula wurden in vielen Nachrichten zitiert. In den meisten Fällen stellen die Zeitungen eine Verbindung zwischen der Ungewissheit Dallagnols und der Tatsache her, dass Lula immer gesagt hat, dass er unschuldig ist und verfolgt wird. Die US-amerikanische Zeitung The New Republic verwies darauf, dass in von Konspirationstheorien gekennzeichneten Zeiten wie diesen, die Möglichkeit groß ist, diese Theorien zu beweisen. Trotz der Aufmerksamkeit welche die Zweifel des Staatsanwalts erregt, erwähnen nur wenige Veröffentlichungen die „indirekten“ Beweise, die Dallagnol selbst zitiert. Über die schon genannte Hinterfragung hinaus zitieren die ausländischen Berichterstattungen in vielen Fällen die Möglichkeit, dass Staatsanwälte und Richter in orchestrierter Form gehandelt haben um Lulas Kandidatur 2018 zu verhindern. Einige Medien erwähnten die Möglichkeit, dass die Anklage Lulas falsch sein könnte. Am deutlichsten in diesem Sinn waren die französische Libération und die US-amerikanische The New Republic.
Alle Berichterstattungen aus Asien und Lateinamerika erwähnen Sérgio Moros Reaktion, die Gespräche enthielten nichts Besonderes, und Delatan Dellagnol, der ein Video aufnahm und in den sozialen Medien postete sowie das Schweigen Jair Bolsonaros. Auch der Wortlaut der Regierungssprecher wurde zitiert. Die Kritik der Mitglieder des Lava Jato an der Hacker-Aktion und der Vorwurf an The Intercept, sich mit ihnen nicht in Verbindung gesetzt zu haben, die Arbeit sei sensationalistisch, findet Eingang in die Berichterstattung, hat aber nicht das Gewicht und die Bedeutung der Enthüllungen zu schmälern. Ein guter Teil der ausländischen Medien gab die öffentlichen Stellungnahmen Dilma Rousseffs und Fernando Haddads und anderer Vertreter der Linken wieder. Doch diese Positionierungen standen immer am Ende der Berichterstattung und blieben damit eher im Hintergrund.
Einige politische Analysten und Beratungsagenturen wie Eurasia und Arko Advice wurden ebenfalls konsultiert. Unter den Fachleuten gibt es die, die glauben, dass der durch die Enthüllungen erzeugte „Lärm“ auf die sozialen Medien beschränkt bleibt. Andere, wie Caros Melo von Ibmec, übten harte Kritik an den zwischen Moro und der Generalstaatanwaltschaft etablierten Beziehungen. Auch die Äußerungen des Ministers des Obersten Gerichtshofs Marco Aurélio Mello wurden in verschiedenen Veröffentlichungen wiedergegeben. Sowohl Eurasia als auch Arko gehen davon aus, dass Moros Image eine tiefe Erschütterung erfährt, ebenso wie die Operation Lava Jato als Ganzes. Die Konsultatoren glauben, dass der Fall ein Murren in der Regierung hervorrufen kann, aber die wirtschaftliche Agenda im Regierungssitz nicht in Mitleidenschaft zieht.
Unabhängig von ihrer Ausrichtung erwähnen alle Reportagen, dass die Enthüllungen von der Site des Journalisten Glenn Greenwald stammen. Seine Person verlieh den Informationen Vertrauenswürdigkeit. Es wird durchgängig daran erinnert, dass er Pulitzerpreisträger ist und die Auszeichnung für die Veröffentlichung geheimer Dokumente der US-Regierung, die vom Ex-Beamten des CIA, Edward Snowden, enthüllt wurden, erhielt.
Die Berichte der ausländischen Zeitungen unterscheiden sich stark von der Berichterstattung der brasilianischen kommerziellen Presse. Hier liegt abweichend von anderen Momenten kein gemeinsames Handeln vor. Die Folha de São Paulo und der Estadão haben eine kritische Haltung gegenüber den Beziehungen, die Sérgio Moro und Deltan Dallagnol unterhalten haben, gezeigt.
Doch die Mediengruppe mit der größten Macht im Land, Rede Globo, übt eine Berichterstattung aus, die Sérgio Moro und Deltan Dallagnol und andere Mitglieder des Lava Jato in Schutz nimmt. Die Nachrichten TV-Globos, Globonews und das Printmedium in Rio, O Globo, haben mit mehr Nachdruck auf die „von Hackern koordinierte Tat“ gegen Mitglieder des Lava Jato reagiert – diese als etwas kriminelles und schwerwiegendes hingestellt – , als auf den Inhalt der Gespräche zwischen dem Chefsonderermittler Curitibas und dem derzeitigen Justizminister.
Die Haltung Rede Globos unterscheidet sich erheblich von der, die sie einnahm, als geheime Dokumente mit Aussagen von Kronzeugen, die von der Operation Lava Jato ausgehandelt worden waren, durchleuchtet und veröffentlicht wurden. Damals haben die Nachrichten des Senders, ohne klären zu können, ob Beweise existieren, Teile der Aussagen und Dokumente, die Personen beschuldigen, wiedergegeben. Noch schlimmer, auf dem Bildschirmhintergrund tauchte eine Grafik auf: 100 Reais Scheine ausgespuckt von angerosteten Petrobras-Förderanlagen. Das heißt: der Sender urteilte, dass die zitierten Personen in Schmiergeldzahlungen der Petrobras verwickelt waren. Es ist zu unterstreichen, dass der Sender dies damals ohne Beweise tat, sie liegen bis heute nicht vor. Diese Form des Umgangs, Anschuldigung ohne Beweise, wurde nicht einzig von Globo betrieben. Die kommerzielle brasilianische Presse übernahm diese Praktiken.
Der Unterschied des Fokus der journalistischen Berichterstattung zwischen ausländischer Presse und allen voran TV Globo verstärkt ein Alarmsignal, das schon seit langer Zeit ertönt. Die größte Mediengruppe des Landes ist nicht vertrauenswürdig, ist imstande Fakten gemäß ihrer eigenen politischen und ökonomischen Interessen zu verdrehen, so wie sie es bereits in anderen Perioden der brasilianischen Geschichte getan hat.
Fundação Perseu Abramo | Übersetzung Ellen Spielmann, Deutschland