30. Juni 2019
Foto: Ricardo Stuckert

Das Zweite Gremium des Obersten Bundesgerichts (STF) verweigerte am Dienstag den 25. Juni die vorläufige Freilassung von Lula bis zur Beurteilung des Antrags der Verteidiger des ehemaligen Präsidenten auf Habeas Corpus. Die Begründung des Antrags ist die vermutete Befangenheit des ehemaligen Richters Sérgio Moro, der heute Justizminister von Jair Bolsonaro (PSL) ist, im Fall des Penthouses von Guarujá, was zur Aufhebung des Urteils führen müsste.

Der endgültige Gerichtsbefund, mit dem entschieden wird, ob von Moros Seite das Fehlen von Neutralität vorliegt, wobei in diesem Fall Lulas sofortige Freilassung gewährt würde, oder nicht, wurde auf das zweite Semester, nach der Justizpause, verschoben, es wurde jedoch noch kein Termin festgelegt.

Die nächsten Schritte, die die Anwälte des ehemaligen Präsidenten unternehmen können, sind: 1) Warten, bis das zweite Gremium des Obersten Gerichts seine Arbeit wieder aufnimmt, dessen erste Sitzung für den 6.August geplant ist; 2) Während der Pause des Obersten Gerichtshofs (2. bis 31. Juli) in Habeas Corpus zu verlangen, um zu erreihen, dass Lula in dieser Zeit vorläufig freigelassen werde. In diesem Fall würde der Antrag vom Präsidenten des Gerichtshofs, Minister Dias Toffoli, oder vom Vizepräsidenten, Luiz Fux, geprüft, die sich während der Gerichtsferien am Obersten Gerichtshof abwechseln.

Lulas Verteidigung hat die nächsten Schritte noch nicht definiert. Der Anwalt des ehemaligen Präsidenten, Cristiano Zanin, bekräftigte kurz nach Beendigung der Sitzung, dass er der Verteidigung darum gehe, die Unschuld Lulas zu beweisen, der seit April 2018 politischer Gefangener ist, nachdem er in einem politischen und von der Medien verzerrten Prozess ohne Beweise und ohne dass irgendein Verbrechen vorliegt, verurteilt wurde.

Was verlangt Lulas Verteidigung?
Die Anwälte wollen, dass der frühere Richter Sergio Moro für seine Rolle in Fällen, in denen der frühere Präsident Lula betroffen war, als befangen eingestuft wird. Zu diesem Zweck legten sie beim STF eine Beschwerde ein, die auch Habeas Corpus umfasste. Die Prüfung des Antrags hat im Dezember letzten Jahres begonnen.

Die Partie stand 2 Stimmen gegen 0 gegen die Forderung der Verteidigung – die Gegenstimmen kamen von den Oberrichtern Edson Fachin und Cármen Lúcia -, als der Richter Gilmar Mendes um Stellungnahme bat.  Mendes sagte an diesem Dienstag, dass Lula bis zur Entscheidung freigelassen werden sollte, doch anstatt über den Habeas Corpus wegen der Befangenheit des Richters zu urteilen, entschied das zweite Richterkollegium darüber, ob Lula sofort freigleassen werden sollte oder nicht. Dazu kam ein Einspruch der Verteidigung gegen die Entscheidung des Bundesrichters Félix Fischer vom Obersten Justizgericht (STJ), der von sich aus beschlossen hatte, einen weiteren Rechtsbehelf abzulehnen. In dieser zweiten Runde verlor die Verteidigung mit 4: 1 Stimme.

Nun wurde das Urteil über die Möglichkeit eines Habeus Corpus, aufgrund der Befangenheit von Moro, auf das zweite Semester verschoben. Gilmar Mendes, Ricardo Lewandowski und Celso de Mello müssen ihr Urtil noch abgben. Carmen Lúcia und Edson Fachin haben bereits dagegen gestimmt.

Während der Gerichtsverhandlung am Dienstag (25) wurde dem ehemaligen Präsidenten Lula zwar die vorläufige Freilassung bis zur Hauptverhandlung nicht zugestanden, die Minister machten jedoch deutlich, dass neue Informationen zur Unterstützung der Analyse in das Verfahren aufgenommen werden könnten. Dazu gehören bereits veröffentliche Gespräche, die Justizminister Sergio Moro und die Staatsanwälte der Spezialeinheit der Autowaschaktion über whatsapp geführt haben.

Sollte die Berufung der Verteidigung akzeptiert werden, wird der Fall des Penthouses in Guarujá, der zur Verurteilung und politischen Gefangenschaft des ehemaligen Präsidenten geführt hat, aufgehoben. Damit wird Lula sofort freigelassen.

Wird das Plenum des Obersten Gerichtshofs über den Habeas Corpus für entscheiden?
Nein. Die Entscheidung über Habeas Corpus wird vom zweiten Obersten Gremium bewertet, das für die Fälle der Autowaschaktion in Paraná zuständig ist.

Das Plenum des Obersten Gerichtshofs, das aus elf Ministern besteht, muss jedoch noch über einen weiteren Antrag von Lulas Verteidigung entscheiden, nämlich ob das Bundeslandgericht der 4. Region die Festnahme in zweiter Instanz anordnen durfte.

Ist die Mehrheit der STF dagegen, so wie es in der Bundesverfassung vorgesehen ist, kann Lula von der Entscheidung profitieren.

Wenn der Habeas Corpus abgelehnt wird, wie stehen die anderen Chancen, dass Lula freigelassen wird?
Die Hauptalternative ist die Entwicklung des Strafvollzugs. Lula ist seit April 2018 in politischer Haft und muss eine Haftstrafe von acht Jahren, zehn Monaten und 20 Tagen absitzen. Die Bundesanwaltschaft hat jedoch erklärt, dass er bereits berechtigt ist, in einen halboffenen Strafvollzug überzugehen. Die Entscheidung über die Gewährung dieser Straferleichterung liegt beim Oberste Gerichtshof (STJ).

Außerdem wird Lula bis Ende September ein Sechstel der ihm, obwohl er kein Verbrechen begangen hat, auferlegten Haftstrafe verbüßt ​​haben. In diesem Fall sieht das Strafvollstreckungsgesetz den Übergang zum halboffenen Strafvollzug vor, vorausgesetzt, er zahlt die von der Justiz festgesetzte Geldbuße an die öffentlichen Kassen, die im Fall des früheren Präsidenten 2,4 Millionen BRS beträgt.

Was sind die Verteidigungsargumente?
Der Hauptgrund für die Berufung war die Ernennung von Sergio Moro zum Justizminister von Bolsonaro, dem wichtigsten politischen Gegner von Lula im Wahlkampf 2018.

Darüber hinaus zeigt die Verteidigung mehrere Situationen auf, die Moros Voreingenommenheit während der Autowaschaktion demonstrieren, wie zum Beispiel die Veröffentlichung von Gesprächen zwischen Lula und der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff, Moros Einmischung, um die Ausführung der Habeas-Corpus-Konzession zu verhindern, die ein diensthabender Richter, Rogério Favreto, im Juli 2018 erteilt hatte; die Telefonüberwachung, die Lulas Anwälte im Jahr 2016 betroffen hat; die Veröffentlichung von Einzelheiten der Kronzeugenaussage des ehemaligen Ministers Antonio Palocci am Vorabend der Wahlen 2018; unter anderen Indizien für offensichtliche Voreingenommenheit Moros.

Ausserdem fügte die Verteidigung im letzten Monat dem Antrag noch den Nachrichtenaustausch zwischen Moro und Lava Jatos Anwalt Deltan Dallagnol bei, der vom Intercept Brasil enthüllt wurde.

Einer der für die Verbreitung des Inhalts verantwortlichen und Herausgeber des Intercept Brasil, der Journalist Glenn Greenwald, erklärte in einer öffentlichen Anhörung im Bundesgericht am Dienstag (25), dass in den kommenden Wochen neue Enthüllungen veröffentlicht werden, und bekräftigte, dass die von Moro angewandte Praxis in anderen Ländern undenkbar sei und als Verbrechen gelten würde.

„In den Vereinigten Staaten ist [die geheime Zusammenarbeit zwischen Richter und Staatsanwalt] undenkbar. Wenn ein Richter nur ein einziges Mal tun würde, was Sergio Moro hier fünf Jahre lang getan hatte, würde er seine Position verlieren und nicht mehr Recht sprechen dürfen“, sagte der Journalist.

Was sagt das Gesetz über die Befangenheit eines Richters?
Das brasilianische Recht sieht vor, dass der Richter gegenüber Strafverfolgung und Verteidigung unparteiisch bleiben muss. Richter, die in irgendeiner Weise einer der Parteien des Falls verpflichtet sind, müssen als befangen angesehen werden. In diesem Fall ist der Richter verhindert, die Handlung zu beurteilen, und der Fall wird an einen anderen Richter weitergeleitet.

Artikel 254 der Strafprozessordnung erläutert die Fälle, in denen der Richter als befangen gilt:

„Der Richter wird sich als befangen erklären, und wenn er dies nicht tut, kann er von jeder der beiden Parteien abgelehnt werden, wenn:

  1. ein enger Freund oder ein Hauptfeind einer von ihnen ist;
  2. er, sein Ehegatte, Vorfahren oder Nachkommen, in ein Verfahren wegen einer analogen Sache verwickelt ist, über dessen kriminellen Inhalt es Kontroversen gibt;
  3. er, sein Ehegatte oder Blutsverwandter oder dergleichen bis zum dritten Grad, in ein Verfahren verwickelt ist, in dem eine der Parteien eingreift
  4. wenn er eine der Parteien beraten hat;
  5. wenn er Gläubiger oder Schuldner, Vormund oder Kurator einer der Parteien ist;
  6. wenn er Partner, Aktionär oder Verwalter eines in den Prozess verwickelten Unternehmens ist.
  7. Der Artikel 564 des Strafgesetzbuchs besagt, dass von befangenen Richtern verhängte Urteile aufgehoben werden können.”

CUT | Übersetzt von Elisabeth Schober, Free LULA – Committee Austria.