16. Februar 2019

Die Zweifel an der Motivation der eröffneten Prozesse gegen den ehemaligen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva, sind nach der Ernennung des Richters Sérgio Moro zum Justizminister der Regierung Bolsonaro ins Unermessliche gewachsen. Sergio Moro ist der Richter der die charismatischen politischen Figur Lula inhaftiert hat. Vor Kurzem gab es noch eine zweite Verurteilung die an das Absurde grenzt.

“Wenn ich meinen Mund öffne, bricht diese Republik zusammen.” Alberto Youssef war gerade bei einer Routineoperation der brasilianischen Polizei festgenommen worden, um Unregelmäßigkeiten in Autowaschanlagen zu untersuchen. Was wie einen schrillenden Satz eines arroganten kleinen Verbrechers aussah, wurde schließlich prophetisch. An diesem Tag im März 2014 wusste es noch niemand, aber der Petrobras-Skandal, einer der größten der modernen Geschichte der Welt, war gerade explodiert.

Am 25. November 2015 wurde Delcidio Amaral, Senator der Arbeiter Partei (PT), festgenommen und beschloss, Lula und die damalige Präsidentin Brasiliens, Dilma Rousseff, als Mitschuldige darzustellen. Der Albtraum hatte begonnen. Die Polizei untersuchte die mögliche Beteiligung der charismatischen Figur Lula bei illegaler Einflussnahme und im März 2016 beschuldigte die Staatsanwaltschaft von São Paulo ihn ausdrücklich der Geldwäsche.

Seitdem wurden acht Fälle gegen Lula instruiert, alle im Zusammenhang mit dem Petrobras-Skandal, der in Brasilien als “Lava Jato” (Car Wash) bekannt ist. Bis jetzt gab es jedoch nur bei zwei von ihnen eine Verurteilung und zwar bei denen von minder Wichtigkeit.

Messbare prüfungen. Die erste Verurteilung kam am 12. Juli 2017: Bundesrichter Sérgio Moro, der sich bereits als Streiter des Kampfes gegen die Korruption vor den Gerichten Brasiliens etabliert hatte, verurteilte Lula zu 9 Jahren Gefängnis, nachdem er ihn für schuldig befunden hatte vom Bauunternehmen OAS eine Luxuswohnung in Guarujá (einem Badeort in der Nähe von Sao Paulo, im Wert von 1,1 Millionen Dollar) bekommen zu haben.

Das Urteil wegen dieser Wohnung (bekannt als Triplex: eine Wohnung mit drei Stockwerken) wurde gesprochen, obwohl kein schriftlicher Beweis vorlag, dass der ehemalige Präsidenten Lula Eigentümer sei. Lula bestritt zudem das Eigentum. Trotzdem befanden die Staatsanwaltschaft und der Richter Moro es völlig in Ordnung Lula anhand der Zeugenaussagen des Portiers des Gebäudes, des Gebäudeverwalters und zweier Ingenieure der Baufirma, zu verurteilen.

Veto bei der wahlteilnahme. Die Strafe wurde, als im Januar 2018 ein Gericht der zweiten Instanz den Fall überprüfte, auf 12 Jahre erhöht. Die Folge dieser Entscheidung: Lula konnte zur Präsidentschaftswahl vom Oktober letzten Jahres nicht als Kandidat antreten, da das Gesetz bestimmt, in zweiter Instanz ratifizierten Verurteilte dürfen dies nicht. Wahlen, die Lula nach allen Umfragen gewonnen hätte.

Der doppelspiel mit Dilma und Temer. Lula entschied, in die politische Arena zurückzukehren, aufgrund der politischen Notlage seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff. Der brasilianische Kongress hatte in seiner Mehrheit beschlossen, sie von der Macht zu stürzen, nicht etwa weil sie in den “Lava Jato” -Skandal verwickelt war, sondern wegen eines Modus Operandi, mit dem sie die Rechnungen des Staates buchhalterisch umlegte, um die Staatsfinanzen gesünder erscheinen zu lassen. Eine Taktik, die frühere Präsidenten ohne Konsequenzen verwendet hatten. Die Entlassung von Dilma führte ihren Vize-Präsidenten, den unpopulären Michel Temer an die Macht.

Was mit Dilma passiert ist, zeigt außerdem, wie in Brasilien mit doppeltem Maßstab gearbeitet wird. Der Prozess der “Amtsenthebung” gegen die Präsidentin wurde vom damaligen Parlamentspräsident Eduardo Cunha initiiert, der dann vom Petrobras-Skandal mitgerissen wurde und nun im Gefängnis sitzt.

Drei Monate vor Lulas erster Verurteilung veröffentlichten mehrere brasilianische Medien eine Ton-Aufnahme, in der Temer, ein Mitglied der Partei der brasilianischen Demokratische Bewegung (PMDB), Koalitionspartner der Arbeiter Partei (PT), befahl, Cunha zu bestechen, um sein Schweigen über Petrobras (Petróleo Brasileiro S.A. ) zu kaufen. Der Kongress hat ein Veto gegen die Ermittlung gegen den Präsidenten Temer eingelegt, und er konnte seine Amtszeit am 31. Dezember beenden.

Absurde verurteilung“. Wenn die erste Verurteilung des früheren Präsidenten Lula schon Zweifel erweckte, war die zweite, gerade erst am 7. Februar gefällt, noch fragwürdiger. Die Bundesrichterin Gabriela Hardt hat Lula für schuldig befunden, der Nutznießer von im Landhaus von Fernando Bittar durchgeführte betrügerische Reformen gewesen zu sein. Fernando Bittar ist einer seit Jahren mit dem ehemaligen Präsidenten und seiner Familie befreundeter Geschäftsmann. Diesem Urteil in erster Instanz nach, kosteten diese Reformen im Haus in Atibaia in der Nähe von São Paulo, 271 Tausend Dollar und wurden im Gegenzug für Petrobras-Verträge zugunsten der Unternehmen Odebrecht, OAS und Schain durchgeführt.

Die Haftstrafe beträgt 12 Jahre und 11 Monate Haft weil Lula dieses Haus «häufig besucht» habe. Die Verteidigung kündigte an, dass sie Berufung einlegen werde und vertrat die Auffassung, dass sich dagegen zu verteidigen eine “absurde” Verteidigung sei, die „die perverse Auslegung von Gesetzen und rechtlichen Verfahren” für “Zwecke der politischen Verfolgung verstärkt”.

Behandlung im gefängnis. Über die Rechtfertigung der Urteile gegen den früheren 73-jährigen Präsidenten hinaus, scheint seine Behandlung im Gefängnis auch eine gewisse Haß der Justiz aufzudecken. Am vergangenen 30. Januar, einige Tage vor der zweiten Verurteilung, verbot das Gericht Lula das Gefängnis zu verlassen um an der Beerdigung seines Bruders Vavá teilzunehmen, der einen Tag zuvor gestorben war. Das Gericht argumentierte, dass es keine Zeit für die Organisation der Beförderung von Lula zum Ort der Beerdigung gebe. Die linken Medien TeleSur erinnerten daran, dass selbst 1980 während der brasilianischen Militärdiktatur “Lula die Erlaubnis erteilt wurde, das Gefängnis zu verlassen um seine Mutter zu begraben.”

Preis für den richter. Das letzte Element, das die Unparteilichkeit in dem Umgang mit Lula in Frage stellt, ist der Übergang von Sérgio Moro zur politischen Ebene. Im Januar trat der ehemalige Bundesrichter als Justizminister der rechtsextremen Regierung von Jair Bolsonaro bei. Der neue Präsident verbarg nicht sein Sympathie für die Prozesse die Moro gegen Angehörige der Arbeiter Partei (PT) durchführte, und seine Eintritt in die Regierung wird eindeutig als einen Preis für seine Urteile verstanden. Ein Preis, den Moro angenommen hat.

Machtvolles vermächtnis. Lula hat immer noch sechs anhängige Rechtsstreitigkeiten die komplexer sind als die bereits Verhandelten. Das könnte dazu führen, dass er zu Jahrzehnten im Gefängnis verurteilt werden kann, wegen mutmaßlicher Verbrechen, die bei weitem gravierender sind als die bisherigen. Diese Prozesse könnten bestätigen, dass der ehemalige Präsident aktiv oder passiv an sehr schwerwiegender Korruption teilgenommen hat. Aber die bis Datum erlassenen Urteile scheinen zu zeigen, dass die Priorität des Systems darin bestand, Lula aus dem Wahlkampf zu ziehen.

Denn trotz der Korruptionsvorwürfe die über seinem Kopf schweben, haben Millionen und Abermillionen von Brasilianern nicht vergessen, dass Luiz Inácio Lula da Silva während seiner achtjährigen Amtszeit circa 30 Millionen Bürger durch Sozialprogrammen aus der Armut heraus holte. Programme die auf der ganzen Welt Lob und Anerkennung hervorgerufen haben.

Crónica  | Foto: Ricardo Stuckert